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Baugeschichte

Die Stadtseite: ihre Bedeutung im öffentlichen Raum

Mit Hilfe der in Zürich liegenden Pläne aus dem Nachlaß Bluntschlis sowie historischer Photographien ist es möglich, das ursprüngliche Aussehen der Fassade des Heylshofes zu rekonstruieren. Eine aquarellierte Federzeichnung von 1881 zeigt das Gebäude von der Stadtseite als Solitär in einer Parkumgebung und belegt die intendierte Anknüpfung an die Schloßbautradition. Durch die Orientierung des Heylshofes am Lutherplatz und zu den Promenaden der Stadt wurden diese Freiflächen als Distanzzonen reklamiert, die der architektonischen Prachtentfaltung eine angemessene Fernwirkung sicherten. Die Nordfassade wird von einem aufwendig gestalteten Mittelrisalit dominiert. Da der Heylshof in das ansteigende Gelände des dahinterliegenden Gartens hineingebaut ist, erhöht er sich an der Stadtseite um das Souterrain, das hier als Untergeschoß sichtbar wird, auf insgesamt 34 m Höhe bis zur Spitze der Laterne und ist so in seiner monumentalen Wirkung zum städtischen Raum hin noch gesteigert. An der Gartenseite wird der verbleibende Niveauunterschied durch die Gartenterrasse und die zu ihr gehörenden Treppenanlagen mit dem Garten vermittelt.

Schnitt durch den Heylshof
Schnitt durch den Heylshof

Die Stadtfassade läßt sich horizontal in zwei Hälften teilen: Untergeschoß und Erdgeschoß bilden einen mit rotem Sandstein rustizierten Sockel, auf dem sich vor den Zerstörungen des zweiten Weltkrieges das erste Stockwerk in würdigen Formen erhob. Der Mittelrisalit mit abgerundeten Ecken trat deutlich aus dem Gebäude hervor. Im ersten Geschoß war er zurückversetzt, wodurch sich ein mit einer Balustrade abschließender Balkon ergab. Der Risalit wird von den zwei Fensterachsen des Mittelflügels und den weitwinklig angesetzten, einachsigen Vorbauten, die im ersten Stock fensterlos waren, flankiert. Mit Hilfe der Durchfensterung ergab sich eine Steigerung der architektonischen Mittel zur prägnanten Gebäudemitte. In zahlreichen Momenten wiederholt, ist sie heute an den verbliebenen Resten nur noch schwer nachzuvollziehen. Untergeschoß und Erdgeschoß sind durch ein aufwendig gestaltetes Portal verbunden. Zwei schräggestellte Vollsäulen flankieren einen Rundbogen mit reichgeschnitzter, gerade abschließender Holztür. Im Bogenfeld über der Tür befindet sich ein halbrundes Fenster mit ebenfalls von Gedon entworfenem und von Bussmann ausgeführtem Gitterwerk, das die umrankten Initialen des Bauherrn zeigt. Darüber blickt ein von Blattwerk gerahmter Genienkopf auf den Eintretenden herunter. Die beiden Säulen tragen einen von zwei Voluten gebildeten Giebel, auf dem sich früher die zwei allegorischen Frauenfiguren von Friede (rechts) und Glück (links) befanden. Der Giebel wird in der Mitte von einer auf einem mit Früchtefestons umrankten Postament stehenden, mit Muschelwerk verzierten Vase gesprengt, die von einem Rundfenster hinterfangen ist. In den abgerundeten Ecken des Mittelrisalits stehen reichverzierte Vasen auf Konsolen vor halbrund abschließenden Nischen.

Das vollplastisch gestaltete Wandrelief in der Portalzone mit seinen malerischen Effekten und der vielfältig gestaffelten Bewegung der Flächen knüpft deutlich an barocke Stilformen an. Es geht in seiner Gestaltung wohl vollständig auf Lorenz Gedon zurück. Ein Entwurf Bluntschlis zeigt eine wesentlich bescheidenere Eingangslösung. Der beschriebene Portikus rahmt die geschnitzte Holztür mit der Darstellung von Ankunft und Abschied. Diese wurde vielleicht noch vom 1883 verstorbenen Gedon konzipiert, aber von seinem Schwager Joseph von Kramer (1848-1908) vollendet und von dem Holzschnitzer Bierling ausgeführt. Auf dem linken Flügel ist eine junge Frau mit ihren Eltern dargestellt, die aus einem Wagen steigt. Im Hintergrund sieht man einen Teil der Dreifaltigkeitskirche in Worms. Der rechte Flügel zeigt ihren Gatten, den Hausherrn in Uniform beim Abschied vor dem Hotel "Zum alten Kaiser", dessen Schriftzug auch als patriotisches Motto der dargestellten Szenen gelten kann. Der Schlüsselbund am Gürtel der Frau deutet auf die Schlüsselgewalt der Hausfrau hin und war ein beliebtes Motiv bei der Darstellung von Häuslichkeit und Pflichtbewußtsein im 19. Jahrhundert. Zusammen mit den allegorischen Figuren auf dem Giebel des Portikus drückte die Ikonographie des Portals den Wunsch nach häuslichem Glück und äußerem Frieden als Garanten ökonomischen Wohlstandes aus, aber auch patriotische Bereitschaft zur Verteidigung des Vaterlandes. Zentrale Momente patrizisch-reichsstädtischen Selbstverständnisses, welche sich auch in anderen öffentlichen Aktivitäten der Familie von Heyl ausdrückten.

Stadtseite des Heylshofes: Mittelrisalit der Fassade
Stadtseite des Heylshofes: Mittelrisalit der Fassade

Im Obergeschoß war der Mittelrisalit durch eine Eckquaderung von den flankierenden Seiten des Mitteltraktes abgesetzt. Zwei Doppelpilaster, in die Nischen mit Pflanzenornamentik eingestellt waren, faßten einen Bogen ein. Dieser überwölbte das im ersten Stockwerk liegende Rechteckfenster mit reichgestalteter Verdachung und das darüber befindliche Mezzaninfenster des Mansardgeschosses. Die Pilaster mit Kompositkapitellen durchbrachen das Kranzgesims des Daches. Sie trugen einen Dreiecksgiebel, dessen Giebelfeld ebenfalls von Gedon entworfen und in seiner Werkstatt angefertigt worden ist. Die Darstellung eines ornamental gerahmten Schlüssels - der Petersschlüssel gehörte zum Wappen der Bischöfe von Worms - und von Insignien eines Bischofs - Bischofsstab, Mütze und Weihrauchgefäß - knüpfte bewußt an die klerikale Heraldik an und verwies damit sinnbildhaft auf den ehemaligen Standort der fürstbischöflichen Residenz an dieser Stelle. Das Wappen, das der Familie Heyl anläßlich ihrer Nobilitierung verliehen wurde, zeigte den Petersschlüssel, der auch das Wormser Stadtwappen dominiert, in Begleitung zweier Lilien. Dies ist ein Beleg für das Bemühen, an historisch überlieferte Repräsentationsmuster anzuknüpfen und das durch die Aufhebung von Worms als Bischofssitz entstandene machtpolitische Vakuum aufzufüllen.

Der um ein Halbgeschoß gegenüber dem restlichen Bau erhöhte Mittelrisalit war durch ein eigenes, quer zum First des übrigen Daches verlaufendes Mansarddach gedeckt, das sich mit dem halbrunden Abschluß der Gartenseite verband. Auf diesem Querdach stand in der Mitte eine Laterne, die sich als markantes Zeichen in der Turmsilhouette von Dom und Dreifaltigkeitskirche etablierte und den nach oben hin sich steigernden Formenapparat der Mittelachse zu einem kulminierenden Abschluß brachte. Desgleichen steigerte sich der ornamentale Aufwand in einem den Vorplatz begrenzenden Gitterwerk, das ein prächtiges, heute noch erhaltenes Eingangstor in der Mittelachse des Gebäudes besaß. Die Orientierung an festlicher Eingangsgestaltung aristokratischer Provenienz wurde auch an zwei ehemals vorhandenen Freitreppen deutlich. Sie lagerten sich um die gesamte Breite der Stadtfassade und führten auf die Höhe des Erdgeschosses zu zwei weiteren Eingangstüren. Durch die Erhöhung des Mittelrisalits wurde eine aus dem Schloßbau bekannte Geschoßfolge von Sockel, Beletage und Mezzanin komplettiert und die Symmetrieachse des Baus betont. Vorbilder für diese Lösung finden sich in französischen Schlössern und Palais der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Bluntschli studierte zwei Jahre bei Ch. A. Questel (1807-1888), einem klassizistisch orientierten Architekten an der Ecole des Beaux Arts in Paris. Er könnte aus dieser Zeit mit vergleichbaren Vorbildern bekannt geworden sein. Einige Architekturphantasien Bluntschlis aus der Zeit in Paris zeigen eine große Affinität zu barock-klassizistischen Architekturinszenierungen.

Stadtseite des Heylshofes: Portalanlage
Stadtseite des Heylshofes: Portalanlage

Die Gestaltung des Mittelrisalits ist darüber hinaus aber auch einem Entwurf Bluntschlis zum zweiten Wettbewerb für das Reichstagsgebäude in Berlin äußerst ähnlich. Der Risalit der Hauptfassade zum Königsplatz weist eine große formale Verwandtschaft zu dem des Heylshofes auf. In beiden Entwürfen erscheint eine Giebelarchitektur, das Triumphbogenmotiv mit den rahmenden Doppelpilastern und eingestellten Fenstern auf einem rustizierenden Sockel aus der Umgebung herausgeschoben. Auch am Reichstagsentwurf erhöht Bluntschli den Mittelrisalit gegenüber den Seitenflügeln, die der Louvrefassade von Claude Perrault entlehnt sind. Die Verwendung eines Architekturzitats vom Reichstagsentwurf Bluntschlis am Heylshof erscheint aus mehreren Gründen motiviert. Die Erbauung des Heylshofes fällt in die Zeit der von heftigen Diskussionen begleiteten Errichtung des Reichstages durch den Architekten Paul Wallot, der mit Bluntschli befreundet war. Heyl war schon von 1874-1881 und 1893-1918 Reichstagsabgeordneter und hat sich durch seine parlamentarische Tätigkeit um die Interessen seiner Heimat verdient gemacht. Es erscheint plausibel, daß er den Wunsch hegte, sein Wirken anspielend zu dokumentieren. Assoziativ verweist ein solches Zitat in die geschichtliche Überlieferung der Stadt Worms. Noch heute bezeichnet eine in den Grund des Heylschen Gartens eingelassene Metallplatte den Ort, an dem Luther im April 1521 vor dem deutschen Reichstag zu Worms stand und Kaiser Karl V. die Reichsacht über ihn verhängte. In solchen Bemühungen um die Erinnerung an die historische Bedeutung der Domumgebung und des geschichtlich aufgeladenen Areals rund um den Heylshof dokumentiert sich das reichsstädtisch nationale Selbstgefühl das Bauherrn.

Die Stadtfassade des Gebäudes zeigt zum 1868 errichteten Lutherdenkmal, welches die Bedeutung dieses Raumes für die städtische Öffentlichkeit noch gesteigert hat. Der Vorbau der Gartenseite weist zum Westwerk des Domes. Der Bau läßt sich somit in eine ideelle Achse vom Lutherdenkmal zum Westwerk des Domes einschreiben. Durch die vor der Zerstörung der oberen Geschosse noch viel deutlicher akzentuierte Betonung der Mittelachse wurde diese Ausrichtung artikuliert und bedeutungssteigernd auf das "Privatschloß" des Unternehmers zurückbezogen. Hinzu kommt, daß der Bau die bisherige Orientierung des Geländes umdreht, da er einen deutlichen baulichen Akzent in die Richtung des wenig bebauten Gebietes jenseits der Promenaden setzte. Steht dieser Aspekt für den Expansionsoptimismus des avanciertesten Vertreters einer sich entwickelnden Gewerbestadt, so verweist der räumliche Bezug zu Dom und Denkmal in den Erinnerungsraum der bedeutenden Geschichte. Das architektonische Handeln des Bauherrn und seines Architekten ging dabei parallel zu anderen öffentlichen Aktivitäten. Neben seinem wirtschaftlichen und politischen Engagement bemühte sich Heyl um die Finanzierung der vierbändigen "Geschichte der rheinischen Städtekultur" von Heinrich Boos (Berlin, 1879-1901). Die Einrichtung und Förderung des Stadtarchivs und seine Ausmalung durch Otto Hupp nach Entwürfen Seidls geht ebenfalls auf seine Initiative zurück. Diese Haltung ist für das Geschichtsinteresse im 19.Jahrhundert bezeichnend. Über die Rückversicherung in der Vergangenheit wird ein Anspruch auf vergleichbare Bedeutung in der Gegenwart des neugegründeten Reiches erhoben. Mit den am Schloßbau orientierten Formen des Heylshofes wurden die Mittel feudaler Repräsentation selbstbewußt in den Dienst eigener Repräsentationsbedürfnisse gestellt, und die 1886 erfolgte Erhebung in den erblichen Adelsstand architektonisch vorweggenommen.

Stadtseite des Heylshofes: das Gittertor
Stadtseite des Heylshofes: das Gittertor

Der in den Züricher Plänen noch neutral als "Wohnhaus Heyl" bezeichnete Bau wird in der Folge, vielleicht im Zusammenhang mit der Nobilitierung, nur noch "Heylshof" oder "Palais Heyl" genannt. Der auszeichnende Zusatz "Hof" wurde im 19. Jahrhundert fast inflationär zur adelnden Namensgebung der an Mustern alter Herrschaftseliten orientierten Bauaufgaben benutzt. So nennt sich auch Bluntschlis Palast-Hotel, wie viele andere Hotelbauten der Zeit, "Frankfurter Hof". Die Bautätigkeit des Geheimen Kommerzienrates Cornelius Wilhelm von Heyl dreht den historischen Verlauf adliger Selbstdarstellung gleichsam um. Der besitzende Landadel war geschichtlich aus verschiedenen Gründen dazu gezwungen, sich außer in den agrarisch getragenen Landsitzen auch in den florierenden Städten architektonisch zu präsentieren. Mit dem Erwerb von Schloß Herrnsheim komplettierte Heyl das Ensemble seiner Besitztümer und bereicherte seinen Titel um den klangvollen Zusatz "zu Herrnsheim". In das Familienwappen übernahm er die Lilien des von Dalbergschen Wappens, der ehemaligen Herren von Herrnsheim. Die Errichtung der Gottliebenkapelle (1890), in deren Kreuzgang sich die Familienmitglieder bestatten ließen, schließt an die Tradition feudal-klerikaler Grablegen an. Auch die Kämmerer von Dalberg ließen sich in prunkvollen Gräbern in der Herrnsheimer Kirche beisetzen. In der Gestaltung des Heylshofes sowie der Sammlertätigkeit seines Bauherrn zeigt sich die sozialgeschichtlich belegte Orientierung des Großbürgertums an aristokratischen Verhaltensformen kultureller und architektonischer Selbstdarstellung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Auch durch die Lage des Heylshofes am ehemaligen Standort der fürstbischöflichen Residenz konnte sich der Erbauer auf die tradierte Bedeutung des Bauplatzes als Ort feudaler Repräsentation im Bewußtsein der Betrachter verlassen. F. M. Illert spricht später angesichts des Heylshofes vom "(...) vornehmsten Privathaus, das in der Stadt steht, in den Maßen und Formen einer kleinen Residenz. Der königliche Kaufmann schuf sich hier das Palais, das ihm erlaubte, in festlichen Räumen die Erneuerung der Stadt zu dokumentieren und erlauchte Gäste einzuladen, hier einzukehren". Mit dem "Schlösschen" konnte eine ähnliche Kontinuität öffentlicher Selbstdarstellung in Anschlag gebracht werden. An dieser Stelle lag früher die Kaiserpfalz, die staufische Pfalz, später die Residenz der Bischöfe von Worms, deren Wappen ihren Herrschafts- und Rechtsbereich abgrenzte. Die Familie von Heyl brachte konsequent ihr eigenes, von zwei Drachen gehaltenes Familienwappen über dem Mittelrisalit an. Ähnlich wird am schon erwähnten Giebelfeld des Heylshofes auf die fürstbischöfliche Residenz angespielt. Durch die Bezugnahme auf einen noch vorhandenen oder durch die Beschäftigung mit der Historie imaginierbaren Bestand an architektonisch bedeutsamen Zeugnissen der Vergangenheit konnte der Anspruch auf hervorragende Bedeutung für die Gegenwart und Zukunft legitimiert werden. In diesem Sinne urteilt der schon erwähnte Illert über das mäzenatische Wirken Heyls, er habe "die Aufgabe der vergangenen Fürstbischöfe und Stättmeister auf sich genommen (...)", um sich "hierdurch einen Führungsanspruch zu verdienen (...)".

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